10 Jahre Weltnaturerbe

Gut für Umweltschutz und Tourismus: Seit 2009 genießt das niedersächsische Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe besonderen Schutz.

Das Great Barrier Reef ist es. Die Galapagos-Inseln, der Amazonas und der Grand Canyon sind es. Weltnaturerbe. Und seit 2009 auch das deutsche Wattenmeer. Es gehört zu den 200 Naturreservaten der Erde, die unter besonderem Schutz stehen, damit sie so einmalig bleiben wie sie sind.

Unter der grauen, schlickigen Masse im Wattenmeer verbirgt sich einer der größten Schätze der Erde. Wenn sich die Nordsee zweimal am Tag zurückzieht, zeigt sich eine unglaubliche Artenvielfalt: Mehr als 10.000 Tier- und Pflanzenarten leben dort und bieten bis zu 12 Millionen Zugvögeln jedes Jahr genug Nahrung, um den Weg von Südafrika bis nach Nordsibirien zu schaffen. „Das Wattenmeer ist für die weltweite Biodiversität von entscheidender Bedeutung“, begründete die UNESCO, als sie das Wattenmeer unter Schutz stellte. Den braucht es auch, denn das Wattenmeer ist bedroht. Dadurch ergibt sich für alle Menschen – vor allem aber für die Bewohner an der Nordseeküste – eine Verantwortung, diesen Naturraum für heutige und folgende Generationen zu schützen.

 

Vielfältige Interessen am Watt

Die Interessen am Watt sind groß: Ölfelder wecken Begehrlichkeiten und so mancher Bauer würde die Salzwiesen lieber beackern. Seit dem UNESCO-Titel ist das vorbei. Doch dass das Watt so bleibt wie es ist, ist ein unmögliches Unterfangen. Die aus geologischer Sicht sehr junge Landschaftsform, 10.000 Jahre alt, ist aktiver als die meisten Vulkane dieser Welt. Sie schüttet Sand zu neuen Inseln und Sandbänken auf und arbeitet beständig an der Küstenform, die keinen Tag aussieht wie am anderen.

Die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer ist erste Anlaufstelle für Landwirte, Ölfirmen, Fährbetreiber, Windenergiehersteller, um den Schutz so groß wie möglich zu ziehen oder auch zwischen Konflikten zu vermitteln. Während im südlich von Wilhelmshaven gelegenen Cäciliengroden der Blick über den Horizont nur durch die Natur und das Watt gleitet, ist das nördlich von Wilhelmshaven anders. Dort sind am Horizont große Frachter zu sehen. „Der Schiffsverkehr hat in den letzten Jahren zugenommen, das ist eine der großen Herausforderungen für den Schutz des Welterbes“ sagt Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung. „Eine Havarie wäre das Schlimmste, was uns je passieren könnte.“ Ein Hauptaugenmerk der Nationalparkverwaltung liegt deswegen darauf, Reedereien zu schulen und für den Schutzraum Watt zu sensibilisieren.

 

Wattführer und nachhaltiger Unternehmer

Joke Pouliart ist zertifizierter Nationalpark-Wattführer und kennt den Lebensraum und seine unglaubliche Artenvielfalt. (Foto: © Andrea Ullius/ullala.ch)

„Nur was der Mensch kennt, kann er auch schützen“, sagt Joke Pouliart und lässt die Wattwanderer eine Garnele aus der Nähe betrachten. Der gebürtige Rheinländer ist zertifizierter Wattführer und vor drei Jahren hat er waddensea.travel gegründet. Mit dem Unternehmen will er den nachhaltigen Tourismus in der Region vorantreiben. Auf der dazugehörigen Plattform hat Pouliart aus eigenen Angeboten und denen von Kollegen und Partnern Pauschalpakete geschnürt: Wattwanderungen nach Baltrum und zu den anderen Ostfriesischen Inseln, aber auch Übernachtungen, kulinarische und kulturelle Erlebnisse, Transfers und was sonst so dazu gehört. „Für mich und meine Familie ist das Wattenmeer inzwischen die Lebensgrundlage. Unser Ziel ist das Erleben dieser einzigartigen Natur für Gäste mit hohem Qualitätsanspruch und nachhaltigen Grundsätzen.“

Vor 10 Jahren hatte der damalige Hafenmeister von Langeoog so manche Aktion gestartet, weil ihm der Nationalpark und die Auszeichnung Weltnaturerbe zu wenig präsent waren. Mit wenig Feedback, wie er rückblickend findet. Das hat sich an der Niedersächsischen Nordsee inzwischen geändert, doch laut Joke Pouliart gibt es noch viel Luft nach oben. Die ganze Region sollte idealerweise vom Welterbe-Geist durchdrungen sein: „Denn das Wattenmeer ist die Marke, die man stärken muss.“

 

Netzwerk für das Wattenmeer

Ein junges Paar wandert vom Deich in Wilhelmshaven Richtung Watt. „Das Wattenmeer hat uns von Anfang an total geflasht“, erzählt Jan Kalusche (29). Der Landschaftsplaner untersucht gerade in seiner Masterarbeit die Einflüsse des Klimawandels auf das Wattenmeer. „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen hier erkennen, was für einen Schatz sie direkt vor der Haustür haben“, sagt er.

Jan Kalusche und seine Freundin Katrin Meier kamen als Zivildienstleistende und als Freiwillige des ökologischen Jahres. Und sie sind nicht nur geblieben, sondern haben 2015 das Netzwerk Watt N mitgegründet. Es vereint rund 700 junge Menschen aus ganz Deutschland, die ihren Freiwilligendienst am Wattenmeer verbracht haben und sich weiterhin dafür engagieren wollen. Denn auch das Wattenmeer in Niedersachsen ist vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen. Steigt der schneller als das Watt, säuft es ab und fällt als Nahrungsquelle für Millionen von Zugvögeln aus. Ein ökologisches Desaster. Damit das nicht passiert, opfern Jan Kalusche und Katrin Meier viel Freizeit, genau wie der harte Kern von Watt N. Der besteht aus rund 40 Aktiven, die sich regelmäßig treffen, um Ideen und Aktionen zu erarbeiten, etwa das Plastiksammeln am Strand und Vogelbeobachtungen mit Kindern. Die 28-jährige Geowissenschaftlerin Katrin Meier würde gern weiter mit dem Wattenmeer arbeiten. „Hier hat die Natur eine unglaubliche Dynamik, alles verändert sich und wird doch gesteuert von einem System, das wesentlich größer ist als man selbst.“

 

Globales Denken an der Nordsee

So wird die Region langsam aber stetig immer attraktiver für anspruchsvolle Natururlauber – und nicht nur das. Der Gedanke, den Vogelzug zu schützen, zieht vom Wattenmeer um die Welt. Heute ist die Nationalparkverwaltung auch im afrikanischen Guinea-Bissau oder Mauretanien im Vogelschutz aktiv, denn: „Dort kommen unsere Vögel an“, erzählt Nationalparkleiter Peter Südbeck. „Wenn wir sie schützen wollen, müssen wir auch in diesen Ländern tätig werden, aufklären, sensibilisieren und uns für den Schutz stark machen.“ So hat die UNESCO-Auszeichnung letztendlich auch ein Stück globales Denken in den Naturschutz der Nordseeküste gebracht, dessen Einfluss tatsächlich bis nach Afrika reicht, während man vor zehn Jahren nur in den Grenzen der eigenen Deiche geplant hat.

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