Mehr Teilnehmer, weniger Vögel?

Erste Auswertungen der Vogelzählaktion des NABU scheinen die schlimmen Befürchtungen um den Vogelbestand auch in Ostfriesland zu bestätigen.

Bereits im Dezember, als der NABU zur Beteiligung an der „Stunde der Wintervögel“ aufrief, hatte mancher den Eindruck, dass die zu dieser Jahreszeit üblichen Vögel am Futterhäuschen oder im Garten weniger sind. Auch in der NABU Regionalgeschäftsstelle Ostfriesland gingen Anrufe ein, dass einige Arten wie Kohl- und Blaumeisen, aber auch Eichelhäher und Amseln in diesem Jahr deutlich seltener beobachtet werden konnten.

Als Ursache wurde oft die Geflügelpest (H5N8) vermutet, wegen der seit Wochen auch im Altkreis Norden Stallpflicht gilt. Hier konnte Jan Schürings vom NABU Ostfriesland aber Entwarnung geben: „Singvogelarten werden generell nicht von der aktuellen Form der Vogelgrippe befallen, und auch die betroffenen Wildvogelarten, meist Wasservögel oder Aasfresser sterben lediglich in so geringen Zahlen, dass Auswirkungen auf die Gesamtpopulationen nicht feststellbar wären.“

Möglicherweise ist jedoch ein anderes Virus für die geringere Zahl von Amseln verantwortlich: Bereits im September 2016 warnte der NABU vor dem tropischen Usutu-Virus. Der mit dem West-Nil-Virus verwandte Erreger wird durch Stechmücken übertragen. Beim Menschen kann er Fieber, Kopfschmerzen und Hautausschlägen, im schlimmsten Fall eine Gehirnentzündung auslösen. Für viele Vögel, insbesondere Amseln ist das Usutu-Virus jedoch tödlich.

Foto: Frank Derer, NABU
In der Stunde der Wintervögel wieder mit dabei, wenn auch vielleicht seltener: die Amsel (Foto: Frank Derer, NABU)

Nicht zu unterschätzen sind aber weitere Faktoren wie die zunehmend intensivierte Landwirtschaft oder der Einsatz von Pestiziden wie Neonicotinoide, die die Lebens- und Ernährungsbedingungen von Wildvögeln verschlechtern. Gerade der auffällige Mangel an Fluginsekten kann vielen Vogelarten besonders in kritischen Phasen wie einem nasskalten Frühjahr zusätzliche Nachteile bringen.

Eine endgültige Erklärung für den tatsächlich gesunkenen Vogelbestand in Ostfriesland hat Schürings noch nicht. Er hält es für möglich, dass viele Vögel derzeit in den Wäldern aufgrund anhaltend milder Witterung noch genug Nahrung finden und deshalb bisher Futterstellen in Gärten weniger nutzen. Die milden Temperaturen könnten auch dafür gesorgt haben, dass es bisher nur wenig Zuzug aus dem Norden und Osten Europas gab. Nicht zuletzt könne aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass heimische Gartenvögel in diesem Jahr aufgrund widriger Witterung weniger Junge aufziehen konnten.

„In Europa leben heute rund 450 Millionen Vögel weniger als noch vor drei Jahrzehnten und die Roten Listen werden immer länger“, erinnert Schürings. Um den messbaren Verlust in der Vogelwelt aufzuhalten oder gar wieder umzukehren, reichten die bisherigen Anstrengungen der Politik zum Schutz der Biodiversität und insbesondere der Vögel nicht aus.

 

Negativtrend bei den Kohlenmeisen auch in Ostfriesland

Am 9. Januar 2017 zog der NABU eine erste Bilanz der diesjährigen Mitmachaktion „Stunde der Wintervögel“, in deren Rahmen am Wochenende Vogelfreunde auch in Ostfriesland zum siebten Mal aufgerufen waren, alle innerhalb einer Stunde gezählten Gefiederten im Garten, Kleingarten oder Park zu notieren und an den NABU zu melden. Neben der wissenschaftlichen Datenerhebung sind für den NABU bei dieser Aktion ebenso wichtig, die engagierten Zähler auf die Natur vor der Haustür aufmerksam zu machen und zur naturnahen Gestaltung von Gärten als Lebensraum für Vögel zu motivieren.

Die Beteiligung in der Region war sehr hoch. Fast 600 Personen haben teilgenommen und beinahe 14.000 Vögel gezählt und gemeldet. Niedersachsenweit haben rund 1.500 Personen mehr mitgemacht als im Vorjahr. Dementsprechend genauer werden die erhobenen Daten der gezählten Vögel.

Da die Ergebniseingabe noch bis zum 16. Januar möglich ist, kann der NABU Niedersachsen derzeit nur auf Trends zurückgreifen – diese sind aber bereits recht stabil. Demnach liegt der ‚niedersächsische Vorjahressieger‘ Haussperling auf Rang 1, die Amsel mit knapp fünf Exemplaren pro Garten auf Rang 2, dann die Kohlmeise mit einem Rückgang von 31 Prozent und 3,5 Exemplaren auf Rang drei, gefolgt von Feldsperling und Blaumeise. Die Zahl der je Garten beobachteten Vögel nimmt jedoch spürbar ab. So wurden, trotz steigender Beteiligung, bislang knapp 8.000 weniger Vögel als im Vorjahr gezählt. Betroffen sind besonders Grünfink, Kernbeißer und sämtliche Meisenarten.

Die große Frage nach dem Warum lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ein näherer Blick auf die Kohlmeise zeigt jedenfalls, dass der Rückgang regional sehr ungleich verteilt ist. In Niedersachsen ist ein Rückgang von 30 Prozent zu verzeichnen. Der NABU will zunächst nur von Beobachtungsrückgängen als momentane Situationsbeschreibung sprechen. Datensammelaktionen von dieser Größe haben zudem eine erhebliche Fehlertoleranz. Bei 220.000 gemeldeten Haussperlingen ist es für das Gesamtergebnis unerheblich, ob einzelne Vogelbeobachter möglicherweise Haus- und Feldsperling nicht sicher unterscheiden können.

Wie die endgültigen Platzierungen aussehen, wird erst nach Ende der Meldefrist am 16. Januar feststehen. Die bisherigen Zählergebnisse können Sie, sortiert nach Vogelart oder Landkreis, auf der Internetseite des NABU Niedersachsen abrufen. Weitere Informationen zur Aktion gibt es unter: www.stundederwintervoegel.de

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